Die Fachverbände für Erziehungshilfen (IGfH, EREV, BVkE und AFET) haben mit einem offenen Brief an Bundeskanzler Merz auf Äußerungen zur „Jugend- und Eingliederungshilfe“ beim Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin am 03.06.2025 reagiert.
Merz hatte dort u.a. gesagt:
„Lassen Sie mich ein weiteres offenes Wort sagen, meine Damen und Herren. Wir werden eine umfassende Ausgabenüberprüfung vornehmen müssen, auch im Sozialrecht. Ich will vor der Klammer sagen: Es ist völlig selbstverständlich, die Bundesrepublik Deutschland bleibt ein sozialer Rechtsstaat. Wir werden dafür sorgen, dass diejenigen, die den Sozialstaat brauchen, ihn auch in Zukunft ohne Wenn und Aber zur Verfügung haben. Dass wir allerdings über Jahre hin jährliche Steigerungsraten von bis zu zehn Prozent bei der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe sehen, ist so nicht länger akzeptabel. Da müssen wir gemeinsam nach Wegen suchen, wie den zu Recht Bedürftigen genauso Rechnung getragen wird wie der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte. Hier stehen uns intensive Beratungen bevor“ (Quelle).
Die Verbände entgegnen dem Kanzler zunächst mit Empirie: „Laut Statistischem Bundesamt lagen die Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe 2023 bei rund 71,9 Mrd. Euro (+ 9,2 % im Vergleich zu 2022). Im Vergleich dazu: Im Jahr 2013 lagen die Aufwendungen für die Kinder- und Jugendhilfe bei rund 35,5 Mrd. Euro. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Ausgaben verdoppelt. Dieser Anstieg kann einerseits insbesondere mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung begründet werden und lässt sich andererseits auf die Tarifentwicklungen sowie die allgemeinen Preissteigerungen zurückführen. Setzt man die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), so ist festzustellen, dass der Anteil zwischen 2021 und 2023 bei 1,7 % auf einem gleichbleibenden Niveau liegt.“
Die Verbände unterstreichen:
Es ist an der Zeit, Aufwendungen in der Kinder- und Jugendhilfe als Investition in eine zukunftsfähige Gesellschaft anzuerkennen und nicht als konsumtive Ausgaben zu verstehen.
Um die Erziehungsfähigkeit von Eltern zu unterstützen und die Entwicklung von Kindern zu fördern, müssen Familien möglichst frühzeitig unterstützt werden. Hierzu sind präventive Unterstützungsleistungen flächendeckend vorzuhalten. Diese müssen für Familien niedrigschwellig erreichbar sein (z. B. Angebote der Familienbildung, Beratungsstellen, Schulsozialarbeit, Jugendfreizeiteinrichtungen und der Ganztagsförderung). Außerdem sind häufig auftretende Belastungsfaktoren für Familien zu reduzieren. Hierzu notwendig sind u. a. die Bekämpfung von Kinderarmut und Wohnungsnot sowie die Sicherstellung der bedarfsgerechten Unterstützung bei psychischer und chronischer Erkrankung von Eltern. Darüber hinaus sehen wir weiterhin die dringende Notwendigkeit die Kinder- und Jugendhilfe zu einem inklusiven Leistungssystem weiterzuentwickeln, um „Hilfen aus einer Hand“ zu ermöglichen und dafür stabile (Versorgungs-)Strukturen aufzubauen.
Damit die Kindertagesbetreuung zu Chancengerechtigkeit beitragen, einen stabilen Grundstein für die spätere Bildungsbiografie legen und Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen kann, sind entsprechende Aufwendungen weiterhin dringend notwendig.
Kommunale Haushalte müssen so ausgestattet sein, dass alle Angebote und Leistungen des SGB VIII erbracht werden können. Das Kinder- und Jugendhilferecht formuliert kommunale Pflichtaufgaben zur Erfüllung von Rechtsansprüchen. Die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, diese – auch im Kontext der Schnittstellen zu weiteren Sozialgesetzbüchern – umzusetzen.
zum Offenen Brief vom 16.06.2025 (pdf)
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